7. System Error
11:47. Der Bildschirm des Computers bleibt schwarz.
Fassungslos lausche ich dem leisen „Sssssrt – Klick … Sssssrt – Klick … Sssssrt – Klick ….“ das sich unaufhörlich in regelmäßigen Abständen wiederholt.
Dieses Geräusch erkenne ich unter Tausenden. Das SOS einer sterben Festplatte.
Ich gebe ja zu, es ist so eine Sache mit den Backups. Man meint oft, dass es ohne gescheites Backup geht, schließlich läuft der Computer und seine darin verbauten Komponenten einwandfrei und problemlos – aber wenn dann diese eine Disk abraucht, bevor alles gesichert ist, ist das großer……Mist.
Digitale Erinnerungen, unwiederbringlich verloren.
Zuletzt hab ich etwas ähnliches 2008 erlebt. Damals war es eine 160GB 2,5“ SATA Platte eines Laptos. Ärgerlich, aber die meisten der relevanten Daten waren bereits im Langzeitarchiv gesichert. Dank des (wenngleich auch unvollständigen) Backups fühlte sich die Trennung von dieser Disk damals anders an, als heute.
Es war eine Trennung von der guten Sorte, wenn man so will. Ganz ohne Wehklagen, ohne Vorwürfe, ohne Leid. Ein Ende ohne Verbitterung. Ein Ende mit Akzeptanz, mit Stolz und mit dem guten Gewissen, dass die Inhalte dieser Disk nicht im digitalen Orkus, im Strom der Zeit, im Strudel des digitalen Vergessens, verloren sind. Ein Ende, was unterm Strich okay ist. Lebenszyklus abgeschlossen, wenn man so will.
Bei dieser Festplatte hingegen ist es anders. Das ganze passierte einfach so, ohne Vorwarnung. An einem Tag, als die Maschine einwandfrei lief.
An der Kreuzung des Lebens…
Voyager1
Es waren neue, noch nicht gesicherte Einsen und Nullen.
Texte.
Fotos.
Videos.
Musik.
Erlebnisse.
Pläne und Hoffnungen.
Der Datenträger war zwar nicht nagelneu, aber sämtliche Stats des S.M.A.R.T. Status waren einwandfrei. Die Disk hatte Platz für unzählige weitere Informationen. Für zukünftige Erinnerungen, Erlebnisse, Geschichten und all das Drumherum. Außerdem passte die Disk bestens zum Zielsystem, einem in die Tage gekommen PC. Eine Maschine mit etwas älterer, aber voll funktionsfähiger Hardware. Eine Maschine und eine Disk, dessen Glanz der alten Zeiten nicht erloschen ist. Ein Retro-Computer, wie aus dem Katalog.
Ganz ohne Vorwarnung jedoch Stillstand.
System Error, wenn man so will.
Ich fluche in mich hinein, kann meine Emotionen kaum kontrollieren.
Kein Backup.
Kein Weg zurück.
23:09:17
Noch immer überlege ich, ob und wie es gelingen kann, den Datenstrom zu retten, die Disk irgendwie wiederzubeleben… doch realistisch betrachtet gibt es weder eine passende Spenderplatine, noch Anzeichen dafür, dass es überhaupt am fehlenden Spin-Up-Signal liegen könnte. Ich ahnte es bereits vor Tagen. Mein Unterbewusstsein (oder eine andere unbekannte Kraft) hat es mal wieder heraufbeschworen, denke ich bei mir.
Ich beginne zu verstehen.
Es liegt an mir.
Ich hab es versemmelt.
23:33:00
Noch immer kein Zugriff auf die Disk. Ich lausche noch immer fassungslos dem Klicken und Sirren. Ich starre abwesend auf den Cursor, der gleichgültig in der Command-Shell meines Linux-Rescue-Systems stumpf vor sich hin blinkt.
00:10:01
Ein schrilles, schleifendes Geräusch von Metall auf Metall und anschließend absolute Stille.
Ich schmeiß’ den Deckel vom Laptop zu, die Maus an die Wand, springe aus meinem Stuhl auf und Fluche laut.
Ich hab’s verstanden.
Headcrash.
♡
Filed under: << REWIND - @ 2. Oktober 2023 1:23