4. Einsen und Nullen
20:35
Ich lege den Telefonhörer auf… besser gesagt, ich tippe “Auflegen” auf dem Smartphone an. So etwas wie einen Telefonhörer habe ich -außer auf der Arbeit- schon lang nicht mehr benutzt. Telefon… für meinen Opa ein echter Meilenstein der Technik. Wann immer man möchte – man kann mit seiner Familie, seinen Freunden, weit entfernten und ganz nahen Verwandten sprechen – und das, ohne einen Schritt vor die Tür zu machen. Klar, es kostet Geld, aber es sind dreißig Pfennig für ein Ortsgespräch – egal wie lange es dauert. Deshalb wohl die mahnenden Worte überall in der Nähe von Telefonen: “Fasse dich kurz”
Heutzutage weiß ich, dass es nicht drum ging, die Leitung freizuhalten oder höflich und präzise im Gespräch zu sein, aber das dachte ich halt damals, wie wohl so viele andere Menschen auch.
Es ging ausschließlich darum, dass man das Telefonat nicht per Zeiteinheit erfassen und bepreisen konnte, obwohl man es gern so gehabt hätte.
Die Technik war jedoch einfach noch nicht so weit.
Das alte Telefon meiner Großeltern stand auf dem langen, holzvertäfelten Flur auf einem Tischlein in der Nähe der Haustür. Wohl hauptsächlich, weil dort die Telefondose der Post an der Wand aufsaß. Vor dem Tisch ein Sessel aus grünem Mohair mit einer bequemen Federpolsterung.
Ein Brokatuntersetzer schonte das dunkle Holz des Tisches, und daneben lag ein flaches, schwarze Büchlein.
Genauer gessagt war es ein Register, und zwar eines mit einer flachen Wählscheibe als Öffner, passend zur Technik des Telefons. Wenn man die Scheibe drehte, z.B. auf “A bis E”, sprang das Register auf und die innenliegende Karteikarte der Einträge war griffbereit, um loszutelefonieren. Unter “E” war z.B. Tante Erna – mit der Vorwahl aus Hannover, dort wohnte sie.
Das Telefon selbst war vermutlich ein Modell aus den 1960er Jahren. Mechanisch mit Wählscheibe. Grau. Posteigentum. Das stand zumindest unten drunter. Es gab auch einen kleinen Knopf rechts unten, der irgendwie keine Funktion zu haben schien – oder dessen Funktion ich nicht kannte. Der Hörer war mit einem perfekt gedrehten Spiralkabel an dem Telefon verbunden – ein herrliches Spielzeug, wie ich fand!
Drehte ich die Wählscheibe, klackerte es rhythmisch in der Leitung. Schön gleichmäßig und fast melodiös:
Sssssssit – Ra-klack-klack-klack-klack.
Ssssssit – Ra-klack-klack-klack-klack
Schnell verstand ich, dass jedes Klackern für einen Impuls steht, dass Telefonnummern aus mindestens drei Ziffern bestehen müssen um jemanden erreichen zu können – und dass man durch schnelles “Auf-die-Gabel-hämmern” die Impulse nachahmen und die gewünschte Rufnummer so schneller wählen konnte, als das Telefon selbst.
Ich hatte somit (für mich) das “Speed-Dialing” erfunden, ohne zu wissen, was das ist oder ob man es sinnvoll nutzen konnte. Eigentlich ein Hack, aus heutiger Sicht.
Ich bemerke, wie der Bildschirm meines modernen Smartphones aufblitzt und meine Erinnerungen verblassen in einem digitalen Farbenmeer.
Die biometrische Entsperrfunktion gibt den Blick auf meinen Startbildschirm frei.
Ahh, eine email – ich klicke sie an, sie ist von meinem NAS.
Speicherplatz fast voll.
5,4 von 5,8 TB verbraucht.
20:37 – ich logge mich ein.
Inmod text:
---------------------- Twin Peaks Theme ---------------------- HMW / 2nd June 1994 ---------------------- Samples (C) HMW 1994 ---------------------- Tis da muzak from ze serial "Twin Peaks"... E n j o y ! ---------------------- Greets materialize b4 all my friends in Cyberspace... Hi! ---------------------- Wanna contact me? Email to "Kerry Ho" in FidoNET MOD Bye bye! ======================
Filed under: << REWIND - @ 31. März 2023 22:13
Eine wirklich tolle Erinnerung. Danke fürs teilen.
Sssssssit – Ra-klack-klack-klack-klack.
<3